LegalMedizinrecht | Substitutionsrecht

Substitution und Recht



Die dunkle Seite der Justiz

Wenn gelegentlich behauptet wird, dass die Justiz im Freistaat Bayern härter sei als anderswo, so mag das vielleicht in allgemeinen Strafsachen und vielleicht auch noch für die geringfügig niedrigeren Hürden bei der Anordnung der Untersuchungshaft gelten. Bezüglich der Sanktionierung im Rahmen des Substitutionsstrafrechts kann eine solche Tendenz aber nicht festgestellt werden. Auffällig ist jedoch, dass die hochkarätig besetzten und als äußerst akkurat bekannten Justizorgane (gemeint sind die Staatsanwaltschaften und Instanzengerichte) im Freistaat Bayern - wie aber auch sonstwo in der Republik - beim Substitutionsstrafrecht eine Art juristischen Blackout haben. Dieser Erkenntnis ist schließlich auch die Überschrift eines Kurzvortrages von Rechtsanwalt Thomas A. Doll auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS e.V.) vom 03. bis 05. November 2017 in Berlin geschuldet.

Das Recht der Substitution

Die ambulante Behandlung betäubungsmittelabhängiger Patienten ist der grundsätzlichen Therapiefreiheit des Arztes im Gegensatz zu anderen medizinischen Heilbehandlungen weitgehend entzogen. Das Normenregime, bestehend aus dem BtMG, der BtMVV, den Richtlinien der Bundesärztekammer und - für gesetzlich versicherte Patienten - die Richtlinie des G-BA zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, legen den behandelnden Substitutionsärzten ein enges Korsett an. Zusätzlich zu den aus den vorgenannten Vorschriften resultierenden Pflichten des Arztes birgt auch die Abrechnung der Substitutionsleistungen ein gewisses Gefahrenpotenzial, in einen Abrechnungsbetrug im Sinne des § 263 StGB hineinzulaufen.

Die strafrechtliche Risiken

Das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verfolgt im Wesentlichen den Zweck, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber auch den Missbrauch von Betäubungsmitteln oder die missbräuchliche Herstellung ausgenommener Zubereitungen ebenso auszuschließen, wie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit. Dem Rechnung tragend ist auch die Behandlung betäubungsmittelabhängiger Patienten streng reglementiert.

MITGABE von Betäubungsmitteln

Was von einigen Substituierern als Dienst am Menschen gedacht war, ist das absolute NOGO nach dem Betäubungsmittelgesetz und führte schon mehrfach zu einer kaum vermeidbaren Verurteilung von Substitutionsärzten - die Mitgabe von Betäubungsmitteln aus der Praxis zur freien Verfügung des Patienten. Solches Verhalten ist strafbar nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG und die Rechtsprechung stellt den Arzt insoweit auf eine Stufe mit einem Dealer. Lag zumindest die Indikation zu einer substitutionsgestützen Behandlung vor, darf der Arzt zwar mit einer milderen Strafe rechnen, bringt aber seine persönliche Freiheit und die Approbation in Gefahr.

 

Anlässlich der Verteidigung eines betäubungsmittelabhängigen Mandanten sind wir vor vielen Jahren - in mittlerweile verjährter Zeit - rein zufällig auf einen solchen Fall gestoßen: Unser Mandant wurde am Bahnhof einer Großstadt von der Polizei aufgegriffen. Bei seiner Durchsuchung wurde unter anderem ein kleines, braunes Fläschchen mit einer Flüssigkeit darin beschlagnahmt. Die Untersuchung ergab, dass es sich um 8ml Methadonlösung 1% handelte. Der betroffenen Arzt hatte - wahrscheinlich aus Werbe- und Marketinggründen - das Fläschchen sogar mit seinem Praxisnamen und der Adresse versehen.

Verschreiben, Verabreichen und zum unmittelbaren Verbrauch Überlassen

Nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BtMG kann sich ein Substitutionsarzt dann strafbar machen, wenn er entgegen § 13 Abs. 1 BtMG Betäubungsmittel

  • verschreibt,
  • verabreicht oder
  • zum unmittelbaren Verbrauch überlässt.

Gemäß § 13 Abs. 1 BtMG dürfen nur Ärzte (...) die in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel und nur dann verschreiben bzw. im Rahmen einer ärztlichen (...) Behandlung, einschließlich der Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit, verabreichen oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist. Die Anwendung ist nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings dann nicht begründet, wenn der mit ihr beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann.

 

Dreh- und Angelpunkt bei Strafverfahren gegen Substitutionsärzte ist das Merkmal der Begründeteheit. Eine Substitutionsbehandlung ist nach dem Wille des Gesetzgebers dann straffrei, wenn sie begründet war. Eine verbindliche Definition, wann eine solche Behandlung begründet ist, gibt es im Gesetz nicht. Dieser Umstand öffnete Strafverfolgern und Gerichten Tür und Tor selbst festzulegen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine substitutionsgestützte Behandlung begründet ist. Und das ging für viele Ärzte bereits schief.

 

In den von uns betreuten Strafverfahren gegen Substitutionsärzte haben wir stets die Auffassung vertreten, dass die Begründetheit bereits dann vorliegt, wenn

  • die Anwendung des Substituts im Rahmen der ärztlichen Heilbehandlung einer Opioid-Abhängigkeit erfolgt,
  • die Anwendung des gewählten Substituts medizinisch indiziert ist,
  • keine absolute Kontraindikation ersichtlich ist und
  • bei der jeweiligen Anwendung auch keine relative Kontraindikation erkennbar ist bzw. nach einer sorgfältigen Risiko-Nutzen-Abwägung der Anwendung entgegensteht.

Mit unserer Sichtweise sind unsere Mandanten bislang gut gefahren. Alleine in den letzten zwei Jahren konnten wir so in mehr als 1700 Einzelfällen der angeblich strafbaren Substitution eine Verurteilung unserer Mandanten vermeiden können. 

 

Staatsanwaltschaften und Gerichte stellen zur Ausfüllung des Begriffs der Begründetheit übrigens häufig auf die Pflichten des Arztes aus der BtMVV und der Richtlinien der Bundesärztekammer ab. Das ist im Ergebnis falsch und nicht haltbar, da hierfür keine strafgesetzliche Grundlage besteht und deswegen gegen geltendes Verfassungsrecht verstößt (Art. 102 Abs. 3 GG).

LEichtfertige Verursachung des Todes

Ein in der gerichtlichen Praxis bislang relativ selten zum Tragen gekommener Tatbestand ist der des § 30 Abs. Nr. 3 BtMG. Danach macht sich strafbar, wer Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überlässt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht. Ausdrücklich nicht von der Bestimmung erfasst sind die Fälle der (Take-Home-) Verschreibung.

Straftatbestände der BtMVV

Die Straftatbestände der BtMVV sind dort in § 16 BtMVV zusammengefasst. Hier hat es durch die zum 02. Oktober 2017 wirksam gewordene Verordnungsänderung tatsächlich eine Entspannung zu Gunsten der Substitutionsärzte gegeben. War in den Altfassungen noch unter Strafe gestellt, wenn der Arzt die Substitution nicht innerhalb der Zwecksetzung des damaligen § 5 Abs. 1 BtMVV vornahm, so ist das in der Neufassung (glücklicherweise) ersatzlos weggefallen. Nicht gelöscht wurden ist allerdings der Annex zu § 16 Nr. 2 aE BtMVV - "unter Nichteinhaltung der vorgegebenen Bestimmungszwecke oder sonstiger Beschränkungen". Hierbei handelt es sich möglicherweise aber nur um ein verordnungsgenerisches Versehen.

Heute kann nach §§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 14 BtMG in Verbindung mit § 16 BtMVV noch bestraft werden, wer als ambulanter Substitutionsmediziner für seine Patienten oder seinen Praxisbedarf

 

1.
entgegen § 1 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, ein Betäubungsmittel nicht als Zubereitung verschreibt,

2.
a)
entgegen § 2 Abs. 1 oder 2 Satz 1, § 3 Abs. 1 oder § 5 Absatz 6 Satz 1 für einen Patienten,
b)
entgegen § 2 Abs. 3 Satz 1, § 3 Abs. 2 Satz 1 oder § 4 Abs. 3 Satz 1 für seinen Praxisbedarf oder
c)
(...)
andere als die dort bezeichneten Betäubungsmittel oder innerhalb von 30 Tagen mehr als ein Betäubungsmittel, im Falle des § 2 Abs. 1 Buchstabe a mehr als zwei Betäubungsmittel, über die festgesetzte Höchstmenge hinaus oder unter Nichteinhaltung der vorgegebenen Bestimmungszwecke oder sonstiger Beschränkungen verschreibt.

 


Abrechnungsbetrug

Große Vorsicht ist geboten beim Ansatz der GPO 01950. Wer sie zu Unrecht ansetzt, kann sich wegen Betrugs gem. § 263 StGB strafbar machen. Und da es zumeist häufiger geschieht, kann sogar ein besonders schwerer Fall im Sinne eines gewerbsmäßigen Betrugs in Betracht kommen.

Es kursiert unter Substitutionsärzten die Annahme, dass diese Gebührenposition auch dann angesetzt werden darf, wenn dem Patienten das Substitut durch eine geeignete Fachkraft zum unmittelbaren Verbrauch überlassen wird und

  • der Arzt in einem anderen Sprechzimmer und sogar dann, wenn
  • der Arzt zwar selbst nicht in der Praxis aber doch in "Rufweite" sei.

Uns ist dergleichen nicht bekannt und das ergibt sich auch so nicht aus der GOP 01950. Selbst, wenn die ein oder andere KV in Deutschland "ein Auge zudrücken" sollte, setzt die GOP 01950 unzweideutig einen Arzt-Patienten-Kontakt zu ihrer Angabe in der Abrechnung des Arztes voraus.

 

Erlangt ein Vertreter einer KV Kenntnis davon, dass ein Substitutionsarzt die Leistung (nach der BtMVV zwar zulässigerweise) delegiert und auch abgerechnet hat, ohne diese GOP zu streichen bzw. zurückzufordern, kann in diesem für den Substitutionsarzt Ansicht vorteilhaften Verhalten der KV eine Untreue im Sinne des § 266 StGB durch den Vertreter der KV darstellen. Im Hinblick auf die Substitutionsmedizin ist uns ein solcher Fall zwar nicht bekannt; aber das LG Koblenz hat vor einigen Jahren einen Vorstand der KV wegen Untreue verurteilt, weil er Kenntnis von Falschabrechnungen KV-zugehöriger Ärzte hatte.