EuGH, Urteil vom 06.11.2018 - C-684/16 (BAG), BeckRS 2018, 27414 – „Shimizu“
Wer seine Arbeitnehmer nicht rechtzeitig vor Jahresende auf die verbleibende Anzahl ihrer jeweiligen Urlaubstage hinweist und sie auch nicht dazu anhält, diese vor Jahresende bzw. vor dem Verfall zumindest zu beantragen, läuft Gefahr, dass die Urlaubsansprüche eben nicht verfallen sondern innerhalb der Verjährungsfrist zu gewähren bzw. im Falle des Ausscheidens abzugelten sind.
SACHVERHALT
Im Ausgangsrechtsstreit klagte der Arbeitnehmer - Herr Shimizu - gegen seinen früheren Arbeitgeber, die Max-Planck-Gesellschaft auf Urlaubsabgeltung. Der befristete Arbeitsvertrag endete mit dem 31.12.2013. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat ihn die Max-Planck-Gesellschaft an, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Sie verpflichtete den Arbeitnehmer jedoch nicht, den Urlaub zu einem bestimmten von ihr festgelegten Termin zu nehmen. Lediglich an zwei Tagen nahm er noch Urlaub. Mit Schreiben vom 23.12.2013 verlangte er die Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen aus 2012 und 2013. Die Klage hatte vor dem ArbG und dem LAG Erfolg. Das BAG legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob § 7 III BUrlG gegen Art. 7 RL 2003/88/EG oder Art. 31 II GRCh verstoße und – bejahendenfalls – welche Folgen sich daraus für ein Arbeitsverhältnis zwischen Privatpersonen ergäben.
LEITSATZ
Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 II GRCh stehen einer nationalen Regelung wie § 7 III BUrlG entgegen, nach der ein Arbeitnehmer, der keinen Urlaubsantrag gestellt hat, am Ende des Bezugszeitraums die ihm zustehenden Urlaubstage und entsprechend seinen Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub verliert und zwar automatisch und ohne vorherige Prüfung, ob er vom Arbeitgeber z.B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen. Aus Art. 31 II GRCh ergibt sich, dass das mit einem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht möglicherweise entgegenstehende nationale Regelungen unangewendet zu lassen hat.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der EuGH betont, dass es sich bei dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Europäischen Union handele. Art. 7 II RL 2003/88/EG sehe vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage habe. Art. 7 RL 2003/88/EG stehe jedoch nationalen Regelungen, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums vorsehen, nicht entgegen, allerdings unter der Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch wahrzunehmen. Der Arbeitgeber müsse seinen Arbeitnehmer zwar nicht zwingen, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen. Er sei aber dennoch verpflichtet, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sei, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordere, dies zu tun, und ihm klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nehme, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen werde. Hierfür trage der Arbeitgeber die Beweislast. Erbringe der Arbeitgeber diesen Beweis, zeige sich, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet habe, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.
Könne eine nationale Regelung wie § 7 BUrlG nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden, ergebe sich aus Art. 31 II GRCh, dass das mit dem Rechtsstreit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem früheren privaten Arbeitgeber befasste nationale Gericht diese nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen habe, dass der Arbeitnehmer weder seine erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub noch entsprechend die finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verlieren könne.
FAZIT
Wer als Arbeitgeber also sicher gehen möchte, dass er zukünftig keine bösen Überraschungen erlebt, kommt nicht umhin, sich auf die Folgen des Urteils des EuGH einzustellen:
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prüfen Sie rechtzeitig vor Jahresende, wieviel Urlaubstage Ihren Mitarbeitern noch zustehen
- informieren Sie Ihre Mitarbeiter individuell und mit entsprechendem Zugangsbeleg über die Anzahl der verbleibenden Urlaubstage und weisen Sie darauf hin, dass die Urlaubstage verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig beantragt werden